http://www.incadat.com/ ref.: HC/E/AT 380 [20/05/1992; Oberster Gerichtshof (Austria); Superior Appellate Court] 1 Ob 532/92 OGH

Gesch�ftszahl

1Ob532/92

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspr�sidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert als Vorsitzenden und durch die Hofr�te des Obersten Gerichtshofes Dr. Hofmann, Dr. Schlosser, Dr. Graf und Dr. Schiemer als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj. B.K., geboren am 24.J�nner 1980, wegen R�ckgabe der Minderj�hrigen, infolge Revisionsrekurses des Vaters S.K., vertreten durch Dr. Georg Gorton, Rechtsanwalt in Klagenfurt als Verfahrenshelfer, gegen den Beschlu� des Landesgerichtes Klagenfurt als Rekursgerichtes vom 10.J�nner 1992, GZ 1 R 4/92-10, womit der Beschlu� des Bezirksgerichtes Klagenfurt vom 4.Dezember 1991, GZ 1 P 109/91-6, best�tigt wurde, in nicht�ffentlicher Sitzung folgenden Beschlu� gefa�t:

Begr�ndung:

Die am 24.J�nner 1980 in Siofok, Ungarn, geborene Minderj�hrige ist die eheliche Tochter des Antragstellers (im folgenden Vater) und der E.K. (im folgenden Mutter), die am 18.J�nner 1979 in Leipzig die Ehe schlossen. Der Vater ist ungarischer Staatsb�rger, die Mutter deutsche Staatsb�rgerin; das Kind besitzt die deutsche und die ungarische Staatsb�rgerschaft.

Die Eltern wohnten mit dem Kind bis 30.Juni 1985 in Siofok, dann zog die Mutter mit dem Kind nach Szentendre (St.Andr�) bei Budapest. Die Ehe der Eltern wurde mit dem Urteil des Stadtgerichtes Siofok vom 28.J�nner 1986 geschieden; nach dem Inhalt des in der Tagsatzung vom 28.J�nner 1986 abgeschlossenen und mit rechtskr�ftigem Beschlu� des Stadtgerichtes Siofok vom 28.J�nner 1986 best�tigten (� 148 Abs. 2 der ungar. ZPO) Vergleiches der Eltern �ber die Scheidungsfolgen stimmte der Vater zu, da� das Sorgerecht f�r das Kind der Mutter �bertragen wird; dem Vater wurde ein Besuchsrecht einger�umt. Da die Mutter einen zweiten Bildungsweg begann, kamen die Eltern des Kindes im September 1988 m�ndlich �berein, da� der Vater w�hrend der Dauer der Ausbildung der Mutter "die Pflege und Erziehung" (nach ungar. Familienrecht wohl Betreuung und Erziehung) des Kindes �bernimmt; tats�chlich lebte das Kind von da an �berwiegend beim Vater und nur w�hrend der Schulferien bei der Mutter. Bereits im Herbst 1990 hatte die Mutter dem Vater mitgeteilt, da� sie ihre Ausbildung bald abschlie�en werde und dann das Kind wieder zu sich nehmen wolle. Sie meldete das Kind f�r das Schuljahr 1991/92 in einer Schule in Klagenfurt an, belie� es aber zum Abschlu� des Schuljahres in Ungarn vorerst beim Vater. Im Juni 1991 nahm die Mutter, die inzwischen nach �sterreich �bersiedelt war, das Kind zu sich, �berlie� es jedoch im August 1991 neuerlich f�r drei Wochen dem Vater. Am 26.August 1991 holte die Mutter das Kind beim Vater in Ungarn ab und teilte ihm bei dieser Gelegenheit neuerlich mit, da� sie das Kind nun g�nzlich zu sich nehme. In der Folge nahm der Vater das Kind noch einige Male jeweils f�r wenige Tage zu sich nach Ungarn, zuletzt am 31.Oktober 1991. Am 3.November 1991 brachte er das Kind wieder zur Mutter nach Klagenfurt, wo es seither die Schule besucht.

Der Vater strebt mit seinem Antrag die sofortige R�ckf�hrung des Kindes nach Ungarn an. Nach ungarischem Recht trage im Fall des Getrenntlebens der Eltern und der Unterbringung des Kindes auf Grund einer Vereinbarung der Eltern oder eines Gerichtsurteiles bei einem Elternteil derjenige Elternteil die Sorge f�r das Kind, bei dem es untergebracht sei. Die Mutter habe durch das Verbringen des Kindes nach �sterreich das v�terliche Sorgerecht verletzt.

Die Mutter wendet im wesentlichen ein, das Kind nicht widerrechtlich nach �sterreich verbracht zu haben; vielmehr habe ihr der Vater das Kind selbst �bergeben.

Das Erstgericht wies den Antrag ab. Der Vater habe durch sein Verhalten (freiwilliges Zur�ckbringen des Kindes nach �sterreich) schl�ssig zum Ausdruck gebracht, dem Verbringen des Kindes durch die Mutter nach �sterreich zuzustimmen; �berhaupt k�nne von einem Verbringen des Kindes keine Rede sein. Das Rekursgericht best�tigte die erstgerichtliche Entscheidung und lie� den ordentlichen Revisionsrekurs zu (� 14 Abs. 1 Au�StrG). Es billigte die erstgerichtlichen Feststellungen und trat im wesentlichen auch dessen rechtlicher Beurteilung bei. Die Mutter habe den Nachweis der Zustimmung des Vaters zu dem von ihm selbst besorgten Verbringen des Kindes nach �sterreich erbracht.

Rechtssatz

Der Revisionsrekurs des Vaters ist nicht gerechtfertigt. Die behauptete Nichtigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens hat schon das Rekursgericht zutreffend verneint, weil der Mangel des rechtlichen Geh�rs im Au�erstreitverfahren in erster Instanz behoben wird, wenn Gelegenheit bestand, den eigenen Standpunkt im Rekurs an die zweite Instanz zu vertreten (EFSlg 16.707; 7 Ob 573/90 ua). Soweit der Vater die vom Erstgericht getroffenen Feststellungen bek�mpft, wendet er sich in unzul�ssiger Weise gegen die Beweisw�rdigung der Vorinstanzen. Der Oberste Gerichtshof ist auch im Au�erstreitverfahren nur Rechts-, nicht aber auch Tatsacheninstanz (EFSlg 52.674; Petrasch, Der Weg zum Obersten Gerichtshof nach der Erweiterten Wertgrenzennovelle 1989 in �JZ 743 ff, 753).

Gem�� seinem Art 4 wird das �bereinkommen �ber die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentf�hrung vom 25.Oktober 1980, BGBl 1988/512 (im folgenden �bereinkommen), zu dessen Durchf�hrung das Bundesgesetz BGBl 1988/513 erging, auf jedes Kind angewendet, das unmittelbar vor einer Verletzung des Sorgerechts oder des Rechts auf pers�nlichen Verkehr seinen gew�hnlichen Aufenthalt in einem Vertragsstaat hatte. Zu den Vertragsstaaten des �bereinkommens geh�ren neben �sterreich ua auch die Bundesrepublik Deutschland (BGBl 1990/721) und Ungarn (BGBl 1990/626). Gem�� Art 1 des �bereinkommens hat dieses das Ziel, die sofortige R�ckgabe widerrechtlich in einen Vertragsstaat verbrachter oder dort zur�ckgehaltener Kinder sicherzustellen und zu gew�hrleisten, da� das in einem Vertragsstaat bestehende Sorgerecht und Recht auf pers�nlichen Verkehr in den anderen Vertragsstaaten tats�chlich beachtet wird. Die R�ckf�hrungsentscheidung ist keine Regelung der elterlichen Sorge (Art 19 des �bereinkommens; 1 Ob 550/92, 7 Ob 573/90; Erl�uternder Bericht von Eliza Perez-Vera, als Berichterstatterin der von der Haager Konferenz eingesetzten Kommission in 485 BlgNr 17.GP 35 ff, 37 f, 46 f), sondern verhilft dem geltenden Sorgerecht zur faktischen Wirksamkeit. Das �bereinkommen strebt demnach an, in einem "entformalisiertes Schnellverfahren und unter weitgehender Ausblendung von Rechtsfragen" allein die urspr�nglichen Tatsachenverh�ltnisse wiederherzustellen (1 Ob 550/92; JBl 1991, 389; Mansel, Neues internationales Sorgerecht in NJW 1990, 2176 f; B�hmer, Die 14.Haager Konferenz �ber internationales Privatrecht 1980, in RabelsZ 1982, 643 ff, 646).

Ob das Verbringen oder Zur�ckhalten eines Kindes als widerrechtlich anzusehen ist, bestimmt Art 3 Abs. 1 des �bereinkommens. Danach gilt ein Verhalten dann als widerrechtlich, wenn a) dadurch das Sorgerecht verletzt wird, das einer Person ... allein oder gemeinsam nach dem Recht des Staates zusteht, in dem das Kind unmittelbar vor dem Verbringen oder Zur�ckhalten seinen gew�hnlichen Aufenthalt hatte. Da das Kind zuletzt bei seinem Vater in Ungarn lebte und dort seinen gew�hnlichen Aufenthalt hatte, richtet sich die Beurteilung der Frage, ob das Sorgerecht des Vaters verletzt wurde, nach ungarischem Recht. Die in Art 3 Abs. 1 lit a des �bereinkommens enthaltene Verweisung auf das Recht des (bisherigen) gew�hnlichen Aufenthaltes des Kindes stellt eine Gesamtverweisung dar (JBl 1991, 389; Mansel aaO, 2177) und umfa�t somit auch die Verweisungsnormen dieses Staates. Diese Regelung weicht vom �sterr. IPR insofern ab, als danach die Frage, wem das Sorgerecht zusteht, nach dem Personalstatut des Kindes (freilich unter Beachtung von R�ck- und Weiterverweisung) zu beurteilen ist (485 BlgNR 17.GP, 31). Bei der Bestimmung des Personalstatuts hat die Gesetzesverordnung des Pr�sidialrates der Ungarischen Volksrepublik Nr 13/1979 �ber das internationale Privatrecht (ungar. IPR) das Staatsangeh�rigkeitsprinzip beibehalten (� 11 Abs. 1 ungar. IPR). Wenn jemand mehrere Staatsb�rgerschaften besitzt und eine davon die ungarische ist, so ist ungarisches Recht sein Personalstatut (� 11 Abs. 2 ungar. IPR); die Frage der effektiven Staatsangeh�rigkeit spielt in solchen Fragen demnach keine Rolle (Bergmann-Ferid, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Ungarn, Das Ehe- und Kindschaftsrecht 9, 12 f). Da das Kind - auch - die ungarische Staatsb�rgerschaft besitzt, ist die Frage nach dem Bestehen eines Sorgerechtes des Vaters f�r das Kind nach ungarischem Recht (vgl JBl 1991, 389), konkret nach dem ungarischen Gesetz Nr IV/1952 idF Nr 4/1986 �ber die Ehe, die Familie und die Vormundschaft (ungar. FamG) zu beurteilen. Dessen hier ma�gebliche - bei Bergmann-Ferid aaO abgedruckte - Bestimmungen lauten:

VIII.Kapitel. Die elterliche Aufsicht und die staatliche F�rsorge �ber Minderj�hrige.

1. Die elterliche Aufsicht im allgemeinen.

� 70. Das minderj�hrige Kind steht unter elterlicher Aufsicht oder unter Vormundschaft.

� 71. (1) Die elterliche Aufsicht ist entsprechend den Interessen des minderj�hrigen Kindes auszu�ben.

(2) Die elterliche Aufsicht umfa�t das Recht und die Pflicht der Betreuung, Erziehung, Verm�gensverwaltung sowie der gesetzlichen Vertretung des minderj�hrigen Kindes, ferner das Recht zur Benennung eines Vormundes und der Ausschlie�ung von der Vormundschaft.

� 72 (1) Die Eltern �ben die elterliche Aufsicht gemeinsam aus.

(2) Wenn die Eltern des Kindes nicht zusammenleben und das Kind aufgrund einer Vereinbarung der Eltern oder einer gerichtlichen Entscheidung bei einem von ihnen untergebracht ist, �bt derjenige Elternteil die Aufsicht aus, bei dem das Kind untergebracht ist.

(3) Getrennt lebende Eltern entscheiden �ber wesentliche Fragen, die das Schicksal des Kindes ber�hren, gemeinsa, es sei denn, das Gericht hat das Aufsichtsrecht des getrennt lebenden Elternteiles beschr�nkt, sein Ruhen angeordnet oder entzogen.

(4) Wesentliche, das Schicksal des Kindes ber�hrende Frage ist: die Bestimmung ... des Aufenthaltsortes des minderj�hrigen Kindes.

� 73. (1) In Fragen aus dem Bereich der elterlichen Aufsicht, �ber welche die die elterliche Aufsicht gemeinsam aus�benden Eltern sich nicht einigen k�nnen, entscheidet die Vormundschaftsbeh�rde, wenn nicht dieses Gesetz etwas anderes bestimmt.

(2) Falls die getrennt lebenden Eltern sich hinsichtlich des gemeinsam ausge�bten Aufsichtsrechts nicht einigen k�nnen, geh�rt die Entscheidung - mit Ausnahme der Bestimmung des Aufenthaltsortes eines Minderj�hrigen, der das 16.Lebensjahr vollendet hat - zur Zust�ndigkeit des Gerichts. ...

2. Die Betreuung und Erziehung...

� 76. (1) �ber die Unterbringung des Kindes entscheiden die Eltern. In Ermanglung einer Vereinbarung bringt das Gericht das Kind bei dem Elternteil unter, bei dem eine g�nstigere k�rperliche, geistige und moralische Entwicklung gew�hrleistet ist. ...

(2) Eine �nderung der Unterbringung des Kindes kann verlangt werden, wenn diejenigen Umst�nde, auf die das Gericht seine Entscheidung gegr�ndet hat, sich nachtr�glich wesentlich ver�ndert haben und die Entwicklung des Kindes in seiner bisherigen Umgebung nicht mehr gew�hrleistet ist. ...5. Entzug und Ruhen der elterlichen Aufsicht...

Ausgehend von dem durch das Stadtgericht Siofok "best�tigten" (genehmigten) Vergleich der Eltern vom 28.J�nner 1986 �ber die Scheidungsfolgen als einer Vereinbarung iS des � 72 Abs. 2 ungar. FamG, wonach das Sorgerecht ("Elterliche Aufsicht" iS des � 71 Abs. 2 ungar. FamG) f�r das Kind nun allein der Mutter zukam, liegt somit eine entsprechende, nach ungarischem Recht wirksame Vereinbarung iS des � 3 des �bereinkommens vor. Danach war f�r das Kind nicht der Vater, sondern die Mutter sorgeberechtigt. Im Sinn des �bereinkommens umfa�t das "Sorgerecht" die Sorge f�r die Person des Kindes und insbesondere das Recht, dessen Aufenthalt zu bestimmen (Art 5 lit a). Da nach den Feststellungen die Mutter nur f�r die Zeit ihrer Ausbildung dem Vater die "Pflege und Erziehung" (was der Betreuung und Erziehung nach � 71 Abs. 2 ungar. FamG entspricht), somit nur einen Teil des Sorgerechts zeitlich beschr�nkt �bertrug, und die Ausbildung nun beendet hat, steht das Sorgerecht f�r das Kind wiederum allein der Mutter zu. Ihr Verhalten konnte daher kein Sorgerecht des Vaters verletzen und kann daher weder als widerrechtliches Verbringen noch als widerrechtliches Zur�ckhalten des Kindes iS des Art 3 Abs. 1 des �bereinkommens erkannt werden.

Auf die im Rechtsmittel bek�mpfte, von den Vorinstanzen bejahte Zustimmung des Vaters iS des Art 13 Abs. 1 lit a des �bereinkommens kommt es dann nicht mehr an. Demgem�� ist die Entscheidung des Rekursgerichtes zu best�tigen.


      [http://www.incadat.com/]       [http://www.hcch.net/]       [top of page]
All information is provided under the terms and conditions of use.

For questions about this website please contact : The Permanent Bureau of the Hague Conference on Private International Law